Cannabis bei chronischen Schmerzen - Evidenz, Dosierung und Praxisleitfaden

Cannabis bei chronischen Schmerzen - Evidenz, Dosierung und Praxisleitfaden
privatrezept.net Redaktion
15 Minuten
13.11.2025

Cannabis bei chronischen Schmerzen: Evidenz, Dosierung und Praxisleitfaden

Chronische Schmerzen betreffen Millionen Menschen in Deutschland und stellen eine enorme Belastung für Betroffene, Angehörige und das Gesundheitssystem dar. Wenn konventionelle Therapien wie nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) oder Opioide nicht ausreichend wirken oder mit erheblichen Nebenwirkungen einhergehen, suchen Patienten nach Alternativen. Medizinisches Cannabis hat sich in den letzten Jahren als vielversprechende Ergänzung oder Alternative etabliert.

Dieser evidenzbasierte Leitfaden gibt einen umfassenden Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zu Cannabis bei verschiedenen chronischen Schmerzerkrankungen, erklärt Wirkmechanismen verständlich, liefert konkrete Dosierungsempfehlungen und zeigt den Weg zur Therapie in Deutschland auf.

Worum geht's?

  • Evidenz variiert nach Schmerztyp: Stärkste Belege für neuropathische Schmerzen, chronischen Rückenschmerz und MS-assoziierte Schmerzen; kleine bis moderate Effekte auf Schmerz, Funktion und Schlafqualität
  • "Start low, go slow": Beginn mit niedrig dosiertem CBD (5 mg 2×/d), schrittweise Steigerung; THC-Add-on nur bei Bedarf (1-2,5 mg abends)
  • CBD:THC-Verhältnisse gezielt wählen: 20:1 bei entzündlichen Schmerzen, 1:1 bei neuropathischen Schmerzen, THC-dominant bei Tumorschmerzen
  • Opioid-sparende Effekte: Cannabis kann helfen, die benötigte Opioid-Dosis zu reduzieren und Nebenwirkungen zu minimieren
  • Sicherheit beachten: Häufigste Nebenwirkungen sind Schwindel, Müdigkeit und Mundtrockenheit; Vorsicht bei Herzerkrankungen und psychiatrischen Vorerkrankungen

Chronische Schmerzen: Eine gesellschaftliche Herausforderung

Chronische Schmerzen – definiert als Schmerzen, die länger als drei bis sechs Monate bestehen – betreffen etwa 20-30% der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland. Die volkswirtschaftlichen Kosten durch Arbeitsausfall, medizinische Behandlungen und verminderte Lebensqualität sind immens.

Konventionelle Schmerztherapien stoßen häufig an ihre Grenzen:

  • NSAR bergen bei Langzeitanwendung erhebliche gastrointestinale und kardiovaskuläre Risiken
  • Opioide führen zu Toleranzentwicklung, Abhängigkeit und der Opioid-Krise
  • Neuropathische Schmerzmittel (Gabapentin, Pregabalin) zeigen begrenzte Wirksamkeit und Nebenwirkungen

Hier setzt medizinisches Cannabis an: als Ergänzung oder Alternative, wenn herkömmliche Therapien versagen oder nicht vertragen werden. Mehr zu den grundlegenden Anwendungsgebieten von Cannabis als Medizin.

Wie Cannabis Schmerzen moduliert: Die Wissenschaft dahinter

Cannabis entfaltet seine schmerzlindernde Wirkung über mehrere Mechanismen, die zusammen ein komplexes Bild ergeben:

Das Endocannabinoid-System und Schmerzverarbeitung

Unser Körper verfügt über ein eigenes Cannabinoid-System – das Endocannabinoid-System (ECS). Es besteht aus Rezeptoren (CB1, CB2), körpereigenen Cannabinoiden (Endocannabinoiden) und Enzymen, die diese abbauen.1

CB1-Rezeptoren sind vor allem im zentralen Nervensystem lokalisiert und beeinflussen die Schmerzwahrnehmung auf Gehirn- und Rückenmarksebene. CB2-Rezeptoren finden sich hauptsächlich in Immunzellen und peripheren Geweben und modulieren Entzündungsreaktionen.2

Dreifache Schmerzlinderung

Cannabis wirkt gegen Schmerzen auf drei Ebenen:

  1. Antinozizeptiv (zentral): THC aktiviert CB1-Rezeptoren im Gehirn und Rückenmark und reduziert die Weiterleitung und Wahrnehmung von Schmerzsignalen
  2. Antiinflammatorisch (peripher): CBD und THC aktivieren CB2-Rezeptoren in entzündetem Gewebe und hemmen die Freisetzung von Entzündungsmediatoren
  3. Modulierend: Cannabis beeinflusst die emotionale Bewertung von Schmerzen und kann Angst und Anspannung reduzieren, die Schmerzen verstärken können

Mehr Details zu THC und CBD als Wirkstoffe.

Evidenzlage nach Schmerztypen: Was die Forschung zeigt

Die wissenschaftliche Evidenz für Cannabis bei chronischen Schmerzen ist heterogen und variiert stark nach Schmerztyp, Formulierung und Studiendesign. Die beiden umfassendsten aktuellen Übersichtsarbeiten – eine systematische Übersicht im British Medical Journal (2021)3 und das AHRQ Living Review (2024/25)4 – fassen den Stand zusammen: kleine bis moderate Verbesserungen bei Schmerz, Funktion und Schlaf.

Neuropathische Schmerzen: Stärkste Evidenz

Neuropathische Schmerzen entstehen durch Schädigung oder Erkrankung des Nervensystems selbst und äußern sich typischerweise als brennend, stechend oder elektrisierend. Sie gehören zu den am besten untersuchten Indikationen für Cannabis.

Studien-Highlights:

  • HIV-assoziierte Neuropathie: Mehrere RCTs zeigen signifikante Schmerzreduktion unter inhalativem Cannabis (3-8% THC)5
  • Diabetische Neuropathie: Wallace et al. fanden dosisabhängige Schmerzlinderung mit inhalativem Cannabis6
  • Gemischte neuropathische Schmerzen: Deutsche Real-World-Daten (Kluwe 2023, n=99) zeigen median VAS-Reduktion von 7,5 auf 4,0 nach 6 Wochen cannabisbasierter Therapie7

Effektgröße: Klein bis moderat (NRS-Reduktion ~1-2 Punkte auf 0-10 Skala)

Empfohlene Formulierung: Ausgewogene THC:CBD-Verhältnisse (1:1) oral oder sublingual für Basistherapie; inhalativ für Durchbruchschmerzen

Chronischer unterer Rückenschmerz: Vielversprechende Phase-III-Daten

Chronische Rückenschmerzen sind eine der häufigsten Ursachen für Arbeitsunfähigkeit. Lange fehlten hochwertige Studien zu Cannabis – bis kürzlich.

Nature Medicine 20258: Die Phase-III-Studie zu VER-01 (standardisierter Extrakt mit ~5% THC) zeigte nach 12 Wochen eine signifikant stärkere Schmerzreduktion gegenüber Placebo (–1,9 vs. –0,6 Punkte auf NRS). Die Verbesserungen blieben in offenen Verlängerungsphasen bis 6-12 Monate stabil.9

Besonderheit: Dies ist eine der ersten großen RCTs zu chronischem Rückenschmerz mit einem standardisierten, niedrig dosierten Extrakt – relevanter für die Praxis als hochdosierte Einzelsubstanzen.

Arthritis: Topisches CBD zeigt Potenzial

Bei Arthrose (OA) und rheumatoider Arthritis (RA) ist die orale Evidenz begrenzt, aber topische CBD-Anwendungen gewinnen an Interesse.

Heineman et al. 202210: Randomisierte Studie mit CBD-Gel bei Hand-Arthrose zeigte Verbesserungen bei Schmerz und Funktion ohne systemische Nebenwirkungen.

Präklinische Daten11 unterstützen antiinflammatorische Eigenschaften von Cannabinoiden bei Gelenkerkrankungen.

Praxis-Tipp: Bei lokalisierten Gelenkschmerzen kann topisches CBD als ergänzende Therapie ohne psychoaktive Effekte versucht werden.

Fibromyalgie: Symptomlinderung, aber niedrige Evidenzqualität

Fibromyalgie ist durch diffuse Schmerzen, Müdigkeit und Schlafstörungen gekennzeichnet. Cannabis wird häufig off-label eingesetzt.

Aktuelle Reviews1213 zeigen:

  • Kurzfristige Verbesserungen bei Schmerz, Schlaf und Lebensqualität
  • Heterogene Studiendesigns und Präparate
  • Evidenzqualität: niedrig bis moderat
  • Patientenrelevante Endpunkte (Schlaf, Funktion) oft stärker betroffen als reine Schmerzskalen

Empfehlung: CBD-betonte Formulierungen (10:1) als Einstieg; niedrig dosiertes THC Add-on bei unzureichender Wirkung.

Migräne: Akute Schmerzlinderung in RCT

Migräne ist episodisch, aber bei chronischer Migräne (≥15 Tage/Monat) liegt eine chronische Schmerzerkrankung vor.

Neurology 202414: RCT mit inhalativem Cannabis (6% THC / 11% CBD) zeigte höhere akute Schmerzlinderung und Schmerzfreiheit nach 2 Stunden im Vergleich zu Placebo. Weitere Studien zu prophylaktischer Wirkung laufen.

Mechanismus: Aktivierung des ECS kann die trigeminovaskuläre Aktivierung modulieren – ein Schlüsselmechanismus bei Migräne.15

Tumorschmerzen: Ergänzung zu Opioiden

Bei Krebsschmerzen ist Cannabis typischerweise Add-on zu Opioiden, nicht Ersatz.

Zylla et al. 202116: Placebokontrollierte RCT mit THC:CBD-Kapseln (2,5 mg/2,5 mg bis 10 mg/10 mg täglich) bei Krebspatienten zeigte signifikante Schmerzreduktion und Verbesserung der Lebensqualität.

Hardy et al. 202417: Follow-up-Daten bestätigen, dass Cannabis den Opioidbedarf senken kann bei gleichzeitig verbesserter Schmerzkontrolle.

Wichtig: Engmaschige Überwachung, da Krebspatienten oft multiple Medikamente einnehmen (Interaktionspotenzial).

MS-assoziierte Schmerzen und Spastik: Etablierte Indikation

Multiple Sklerose geht häufig mit neuropathischen Schmerzen und Spastik einher. Hier ist die Evidenz am längsten etabliert.

Nabiximols (Sativex®, 1:1 THC:CBD oromucosal) ist in vielen Ländern für MS-Spastik zugelassen. Studien zeigen Wirksamkeit bei:

  • Spastik-assoziierter Schmerz18
  • Neuropathischen Schmerzen bei MS19
  • Schlafqualität und Lebensqualität20

Praxis: Nabiximols oder äquivalente orale/sublinguale Formulierungen mit 1:1-Ratio.

Dosierung und Titration: Der Schlüssel zum Erfolg

Die richtige Dosierung ist entscheidend für Wirksamkeit und Verträglichkeit. Es gibt keine "One-Size-Fits-All"-Dosis – individuelle Titration ist unerlässlich.

Das "Start Low, Go Slow"-Prinzip

Alle aktuellen Guidelines2122 empfehlen:

Phase 1: CBD-Start (Woche 1-3)

  • Beginn mit 5 mg CBD 2×täglich (morgens und abends)
  • Steigerung um 5-10 mg alle 2-3 Tage
  • Zieldosis: 20-40 mg CBD täglich (aufgeteilt in 2 Dosen)
  • Einnahme: Öl/Tropfen sublingual oder Kapseln

Phase 2: THC-Add-on bei Bedarf (ab Woche 3-4)

  • Start mit 1-2,5 mg THC abends (zur Vermeidung von Tagesmüdigkeit)
  • Steigerung um 1-2,5 mg alle 3-7 Tage
  • Zieldosis: 5-20 mg THC täglich (je nach Verträglichkeit und Wirkung)
  • Verhältnis: Oft 1:1 bis 1:4 (THC:CBD) bei chronischen Schmerzen

Phase 3: Optimierung (ab Woche 6-8)

  • Feinabstimmung basierend auf Schmerztagebuch
  • Anpassung von Timing (z.B. höhere Dosis zur Nacht bei nächtlichen Schmerzen)
  • Überprüfung der Darreichungsform

Darreichungsformen für chronische Schmerzen

Die Wahl der Darreichung beeinflusst Onset, Dauer und Bioverfügbarkeit erheblich. Mehr Details zu Einnahmeformen im Vergleich.

DarreichungOnsetDauerBioverfügbarkeitIdeal für
Öl/Tropfen sublingual15-45 min4-6 h15-35%Kontrollierte Titration, Basistherapie
Kapseln oral45-90 min6-8 h4-20%Langanhaltende Wirkung, compliance
Vaporisation2-10 min2-4 h30-50%Akuter Durchbruchschmerz, Dosisanpassung
Topisch (Cremes)20-60 minlokal, 2-4 hlokalGelenkschmerzen, keine systemische Wirkung

Praxis-Empfehlung: Kombination aus oraler Basistherapie (Öl/Kapseln) und inhalativer Bedarfsmedikation bei Durchbruchschmerzen.

Titrations-Geschwindigkeiten

Konservativ (empfohlen für Ältere, Cannabis-naive Patienten, Komorbiditäten):

  • CBD: +5 mg alle 3-4 Tage
  • THC: +1 mg alle 5-7 Tage

Standard (gesunde Erwachsene ohne Risikofaktoren):

  • CBD: +10 mg alle 2-3 Tage
  • THC: +2,5 mg alle 3-5 Tage

Zügig (jüngere Patienten, vorherige Cannabis-Erfahrung, dringender Bedarf):

  • CBD: +10-15 mg alle 1-2 Tage
  • THC: +2,5-5 mg alle 2-3 Tage

Mehr zu Dosierungsprinzipien.

Produktwahl: CBD:THC-Verhältnisse gezielt einsetzen

Das Verhältnis von CBD zu THC ist entscheidend für Wirkprofil und Verträglichkeit. Beide Cannabinoide wirken synergistisch (Entourage-Effekt), aber unterschiedlich.

Ratio-Guide nach Schmerztyp

20:1 bis 10:1 (CBD-dominant)

  • Indikation: Entzündliche Schmerzen (Arthritis, Arthrose), Fibromyalgie (Einstieg), Patienten mit Angst vor psychoaktiven Effekten
  • Vorteile: Minimal psychoaktiv, antiinflammatorisch, anxiolytisch
  • Beispiel: 20 mg CBD / 1 mg THC pro Dosis

4:1 bis 2:1 (CBD-betont)

  • Indikation: Gemischte Schmerzen, mäßig schwere chronische Schmerzen
  • Vorteile: Balancierte Wirkung, THC-Effekte durch CBD moduliert
  • Beispiel: 10 mg CBD / 2,5 mg THC pro Dosis

1:1 (Ausgewogen)

  • Indikation: Neuropathische Schmerzen, MS-Schmerzen, chronische Rückenschmerzen
  • Vorteile: Synergie beider Wirkstoffe, etabliert in Studien
  • Beispiel: 5 mg THC / 5 mg CBD pro Dosis (Einstieg), bis 10:10 mg

1:2 bis 1:4 (THC-dominant)

  • Indikation: Schwere Tumorschmerzen, therapierefraktäre Schmerzen, nächtliche Schmerzen
  • Vorteile: Stärkere analgetische Wirkung, sedierend
  • Beispiel: 10 mg THC / 2,5 mg CBD pro Dosis
  • Vorsicht: Höheres Risiko für psychoaktive Effekte und Toleranzentwicklung

Vollspektrum vs. Isolat

Vollspektrum-Extrakte enthalten neben THC und CBD auch weitere Cannabinoide (CBG, CBN, THCV) und Terpene. Viele Patienten berichten von besserer Wirksamkeit durch den Entourage-Effekt.

Isolate (reines CBD oder THC) bieten präzise Dosierung und sind frei von THC-Spuren (relevant bei CBD-Produkten und Fahrtüchtigkeit).

Empfehlung: Vollspektrum-Extrakte als Erstlinie, bei unerwünschten Effekten auf Isolate wechseln.

Opioid-sparende Effekte: Weniger ist mehr

Ein wichtiges Argument für Cannabis bei chronischen Schmerzen ist das Potenzial, Opioide zu reduzieren.

Präklinische Synergie

THC senkt die ED50 (Effektive Dosis) von Morphin und Codein im Tiermodell um bis zu 50%.23 Das bedeutet: Geringere Opioid-Dosen bei gleicher Schmerzlinderung.

Klinische Beobachtungen

Nielsen et al. 2017/202224: Systematische Reviews zeigen, dass viele Patienten unter Cannabis-Add-on ihre Opioid-Dosis reduzieren oder ganz absetzen können. Beobachtungsdaten aus Kanada und Neuseeland bestätigen dies.25

Mechanismen:

  • Additive Analgesie über unterschiedliche Rezeptorsysteme
  • CBD kann Opioid-Entzugssymptome mildern
  • Verbesserte Lebensqualität ermöglicht niedrigere Schmerzschwellen

Praktisches Vorgehen

  1. Opioid-Dosis beibehalten beim Cannabis-Start
  2. Nach 4-6 Wochen stabiler Cannabis-Therapie: Strukturierte Opioid-Reduktion beginnen (z.B. 10-25% Reduktion alle 2 Wochen)
  3. Engmaschiges Monitoring: Schmerz, Entzugssymptome, Funktion
  4. Ziel: Niedrigste effektive Opioid-Dosis oder komplettes Absetzen

Sicherheit, Interaktionen und Risikominimierung

Cannabis ist im Allgemeinen gut verträglich, aber nicht frei von Risiken. Eine informierte Aufklärung und engmaschiges Monitoring sind essenziell.

Häufige Nebenwirkungen

Die meisten Nebenwirkungen sind mild bis moderat und dosisabhängig:26

Sehr häufig (>10%):

  • Schwindel
  • Müdigkeit, Somnolenz
  • Mundtrockenheit (Xerostomie)

Häufig (1-10%):

  • Euphorie, Dysphorie
  • Kognitive Beeinträchtigung (kurzfristig)
  • Übelkeit (paradoxerweise bei Überdosierung)
  • Orthostatische Hypotonie

Selten, aber ernst (<1%):

  • Cannabinoid-Hyperemesis-Syndrom (CHS) bei chronischem Hochdosisgebrauch
  • Psychotische Symptome bei Prädisposition
  • Kardiale Ereignisse (Tachykardie, Arrhythmie) bei vorbestehenden Herzerkrankungen

Mehr zu Nebenwirkungen verstehen und managen.

Kontraindikationen und Vorsichtsmaßnahmen

Absolute Kontraindikationen:

  • Schwangerschaft und Stillzeit
  • Schwere Herzinsuffizienz, instabile koronare Herzkrankheit
  • Akute Psychose, Schizophrenie (Cave: auch Familienanamnese)

Relative Kontraindikationen (Nutzen-Risiko-Abwägung):

  • Kardiovaskuläre Erkrankungen (Arrhythmien, unkontrollierte Hypertonie)
  • Psychiatrische Vorerkrankungen (Depression, Angststörungen, Suchtanamnese)
  • Schwere Leber- oder Niereninsuffizienz
  • Alter <25 Jahre (Entwicklung des Gehirns)

Arzneimittel-Interaktionen

Cannabis wird hauptsächlich über CYP450-Enzyme (v.a. CYP3A4, CYP2C9, CYP2C19) metabolisiert und kann andere Medikamente beeinflussen.27

Wichtige Interaktionen:

MedikamentEffektManagement
WarfarinTHC/CBD ↑ Warfarin-Spiegel → BlutungsrisikoINR engmaschig (wöchentlich), Dosis-Adjustierung
ClobazamCBD ↑ Clobazam-Spiegel → SedierungClobazam-Dosis reduzieren (oft 50%)
ZNS-Depressiva (Benzodiazepine, Opioide, Alkohol)Additive SedierungDosis reduzieren, Monitoring
Immunsuppressiva (Tacrolimus)CBD kann Spiegel verändernTherapeutisches Drug-Monitoring

Praxis-Tipp: Bei Polymedikation immer Interaktionschecks durchführen und engmaschiges Monitoring in den ersten 4-6 Wochen. Mehr zu Wechselwirkungen.

Risikominimierung: 10 Praxis-Tipps

  1. Abends starten: Erste Dosis abends/nachts, um Tagesmüdigkeit zu vermeiden
  2. Langsam titrieren: Übereilte Dosissteigerung ist Hauptursache für Nebenwirkungen
  3. THC-Spitzen vermeiden: Orale/sublinguale Gabe gleichmäßiger als Inhalation
  4. Schmerztagebuch: Dokumentation von Schmerz, Dosis, Nebenwirkungen, Funktion
  5. Follow-ups: Woche 2, 4, 8, dann alle 3 Monate
  6. Fahrtüchtigkeit: Keine Teilnahme am Straßenverkehr in den ersten Wochen oder bei Dosissteigerung
  7. Interaktionschecks: Bei jeder Medikamentenänderung
  8. Absetzen bei psychischen Symptomen: Verwirrtheit, Paranoia, Halluzinationen → sofort absetzen
  9. Pausen einlegen: Bei Toleranzentwicklung (nachlassende Wirkung) kann eine 2-4-wöchige Pause sinnvoll sein
  10. Bezug aus Apotheke: Kontrollierte Qualität, definierte Inhaltsstoffe

Hinweis:

Sie leiden unter chronischen Schmerzen und möchten medizinisches Cannabis nutzen? Dann können Sie bei uns ganz einfach Ihr Cannabis Rezept online beantragen. Diskret, legal und von erfahrenen Ärzt:innen geprüft.

Fazit: Cannabis als Teil eines multimodalen Schmerzkonzepts

Medizinisches Cannabis ist kein Wundermittel, aber eine wertvolle Ergänzung im therapeutischen Arsenal bei chronischen Schmerzen. Die Evidenz zeigt:

Wirksam: Kleine bis moderate Schmerzlinderung, Verbesserung von Funktion und Schlaf bei verschiedenen Schmerztypen (v.a. neuropathisch, chronischer Rückenschmerz, MS-Schmerzen)

Sicher: Überwiegend milde, dosisabhängige Nebenwirkungen; deutlich geringeres Risikoprofil als Opioide

Opioid-sparend: Potenzial zur Reduktion von Opioid-Dosen und -Nebenwirkungen

Individuell: Erfolg erfordert sorgfältige Titration, Ratio-Wahl und engmaschiges Monitoring

Kein Ersatz für andere Therapien (Physiotherapie, Psychotherapie, Bewegung), sondern Baustein eines multimodalen Konzepts

Erfolgsfaktoren für die Therapie

  1. Realistische Erwartungen: Ziel ist Symptomlinderung, nicht komplette Schmerzfreiheit
  2. Strukturierte Titration: "Start low, go slow" – Geduld ist entscheidend
  3. Dokumentation: Schmerztagebuch führt zu besseren Ergebnissen
  4. Ärztliche Begleitung: Erfahrene Verordner machen den Unterschied
  5. Ganzheitlicher Ansatz: Cannabis + Bewegung + Psychotherapie + soziale Unterstützung

Nächste Schritte

Wenn Sie unter chronischen Schmerzen leiden und konventionelle Therapien nicht ausreichen, kann Cannabis eine Option sein:

  1. Indikation prüfen: Schmerztyp, Vortherapien, Kontraindikationen
  2. Ärztliche Beratung: Telemedizin (z.B. Privatrezept.net) oder lokaler Cannabis-erfahrener Arzt
  3. Therapieversuch: Strukturierte Titration, dokumentieren
  4. Entscheidung: Nach 8-12 Wochen Nutzen-Risiko-Bewertung

Cannabis-Medizin entwickelt sich rasant weiter. Weitere hochwertige Studien, standardisierte Produkte und klinische Leitlinien werden die Evidenz in den kommenden Jahren weiter stärken. Für viele Schmerzpatienten bietet Cannabis bereits heute eine wertvolle Therapieoption mit akzeptablem Risikoprofil.


Quellen

Footnotes

  1. Barrie N, Manolios N. The endocannabinoid system in pain and inflammation: Its relevance to rheumatic disease. Eur J Rheumatol. 2017;4(3):210-218. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC5685274/

  2. Guindon J, Beaulieu P. The role of the endocannabinoid system in peripheral analgesia. Curr Mol Pharmacol. 2009;2(1):134-139. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC2834283/

  3. Stockings E, et al. Cannabis and cannabinoids for the treatment of people with chronic non-cancer pain conditions: a systematic review and meta-analysis. BMJ. 2021;374:n1034. https://www.bmj.com/content/374/bmj.n1034

  4. McDonagh MS, et al. Cannabis-Based Products for Chronic Pain: A Living Systematic Review. Annals of Internal Medicine. 2024/2025. https://www.acpjournals.org/doi/10.7326/ANNALS-24-03319

  5. Ellis RJ, et al. Smoked medicinal cannabis for neuropathic pain in HIV: a randomized, crossover clinical trial. Neuropsychopharmacology. 2009.

  6. Wallace MS, et al. Dose-dependent effects of smoked cannabis on capsaicin-induced pain and hyperalgesia in healthy volunteers. Anesthesiology. 2007.

  7. Kluwe B, et al. Cannabis-based medicinal products in the treatment of neuropathic pain: real-world data from Germany. Medical Cannabis and Cannabinoids. 2023;6(1):89-97. https://karger.com/mca/article/6/1/89/860557

  8. Schlag AK, et al. A phase 3 randomised trial of a low-dose THC:CBD sublingual oil for chronic lower back pain. Nature Medicine. 2025. https://www.nature.com/articles/s41591-025-03977-0

  9. Cannabis could be effective for chronic lower back pain. The Pharmaceutical Journal. 2025. https://pharmaceutical-journal.com/article/news/cannabis-could-be-effective-for-chronic-lower-back-pain-phase-iii-trial-results-suggest

  10. Heineman JT, et al. The Effect of Topical Cannabidiol on Hand Osteoarthritis Pain. J Pharm Technol. 2022;38(6):469-473. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC10619990/

  11. Paland N, et al. Anti-inflammatory effects of cannabidiol in osteoarthritis. Biochem Pharmacol. 2023.

  12. Chaves C, et al. Cannabis and fibromyalgia: therapeutic benefits. J Cannabinoid Med. 2020;2(1):40-53. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC10295750/

  13. Cannabis medicinal no tratamento da fibromialgia: revisão sistemática. RSD Journal. 2025. https://rsdjournal.org/rsd/article/view/48425

  14. Aviram J, et al. Efficacy of cannabis for acute migraine treatment: randomized double-blind placebo-controlled trial. Neurology. 2024;102(12):e204925. https://www.neurology.org/doi/10.1212/WNL.0000000000204925

  15. Medical Cannabis for Migraines: Update. PMC. 2023. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC9845509/

  16. Zylla D, et al. A randomized trial of medical cannabis in patients with refractory cancer pain. J Clin Oncol. 2021;39(15_suppl):12033. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34085149/

  17. Hardy J, et al. Follow-up study of THC:CBD oromucosal spray in cancer pain. JCO. 2024;42(16_suppl):12020. https://ascopubs.org/doi/10.1200/JCO.2024.42.16_suppl.12020

  18. Corey-Bloom J, et al. Smoked cannabis for spasticity in multiple sclerosis: a randomized trial. CMAJ. 2012;184(10):1143-1150. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC3394820/

  19. Rog DJ, et al. Oromucosal Δ9-THC/CBD for neuropathic pain in MS: an open-label study. Neurology. 2005.

  20. Cannabis in the Management of MS Pain and Spasticity. ASRA News. 2024. https://asra.com/news-publications/asra-newsletter/newsletter-item/asra-news/2024/11/06/cannabis-in-the-management-of-multiple-sclerosis-related-pain-and-spasticity

  21. Bhaskar A, et al. Consensus recommendations on dosing and administration of medical cannabis for chronic pain: results of a modified Delphi process. J Cannabis Res. 2025;7:12. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC10134049/

  22. Medical Cannabis and Chronic Pain. AAFP. 2022. https://www.aafp.org/pubs/afp/issues/2022/0800/practice-guidelines-medical-cannabis-chronic-pain.html

  23. Cichewicz DL. Synergistic interactions between cannabinoid and opioid analgesics. Life Sci. 2004;74(11):1317-1324.

  24. Nielsen S, et al. Opioid-sparing effect of cannabinoids: systematic review and meta-analysis. Neuropsychopharmacology. 2017;42:1752-1765. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC5520783/

  25. Nielsen S, et al. Opioid-sparing effect of cannabinoids for analgesia: an updated review. Neuropsychopharmacology. 2022;47:1315-1330. https://www.nature.com/articles/s41386-022-01322-4

  26. Zeraatkar D, et al. Long-term and serious harms of medical cannabis and cannabinoids for chronic pain: systematic review. Can Fam Physician. 2022;68(8):e244-e251. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC9358949/

  27. Huestis MA. Human cannabinoid pharmacokinetics. Chem Biodivers. 2007;4(8):1770-1804.

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